
Im Kontext des Projektbereichs 4: Informationsfreiheit verteidigen [1] hat die Wau Holland Stiftung bereits zuvor auf die Versuche der deutschen Regierung aufmerksam gemacht, FragDenStaat zu zensieren, eine Plattform für Informationsfreiheitsanfragen an deutsche und EU-Behörden, sowie Kampagnen, investigativen Journalismus und strategische Klagen. Im Jahr 2014 tat das Bundesministerium des Innern dies auf der Grundlage einer missbräuchlichen Urheberrechtsklage [2] gegen Dokumente, die FragDenStaat rechtmäßig über das Informationsfreiheitsgesetz erhalten hatte; der Staat verlor diesen Rechtsstreit letztendlich [3].
Diesmal wurde Chefredakteur Arne Semsrott wegen der Veröffentlichung von Durchsuchungsbefehlen [4] gegen Mitglieder der Letzten Generation (einer Gruppe, die sich gegen den Klimawandel engagiert [5]), mit einer “Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine[r] Geldstrafe” [6] bedroht. Semsrott wusste, dass die Veröffentlichung dieser Dokumente zu einem laufenden Verfahren einen Verstoß gegen § 353d Nr. 3 Strafgesetzbuch (StGB) darstellte, der die Berichterstattung über laufende Gerichtsverfahren untersagt [7]. Er beabsichtigt jedoch zu argumentieren, dass dieses weit gefasste Verbot nicht nur in Deutschland verfassungswidrig ist, sondern auch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) [8] verstößt, wonach solche Informationen nur dann zensiert werden dürfen, wenn nachgewiesen werden kann, dass ihre Veröffentlichung eine “laufende Strafuntersuchung beeinträchtigt oder die Unschuldsvermutung verletzt” würde [9], wobei dies gegen das Allgemeininteresse abzuwägen ist. Semsrott nahm auch Schwärzungen vor, um personenbezogene Daten zu schützen.
Am 18. Oktober entschied das Berliner Landgericht, dass der Paragraf nicht verfassungswidrig sei; Semsrott erhielt eine Verwarnung, dass er mit einer Geldstrafe von 1.000 Euro belegt wird, wenn er innerhalb seiner einjährigen Bewährungszeit erneut straffällig wird [10]. Er wird gegen das Urteil mit seinem Verteidiger Dr. Lukas Theune [11] und Unterstützung [12] der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF), einer Berliner Menschenrechts- und Bürgerrechtsorganisation [13], Berufung einlegen. Wie eine Sachverständige bemerkte:
“Die Öffentlichkeit ist ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie und hat eine wichtige Kontrollfunktion, auch und gerade für die Justiz. Darum müssen Gerichtsverfahren, auch laufende, so transparent wie möglich sein. Dass Journalist*innen dabei direkt zitieren und nicht nur paraphrasieren dürfen, ist wichtig.”
[1] https://wauland.de/de/projects/enduring-freedom-of-information/\ [2] https://wauland.de/de/news/2014/01/outrageous-attempt-to-censor-fragdenstaat-de/\ [3] https://fragdenstaat.de/aktionen/zensurheberrecht-2014/#pressemitteilung\ [4] https://fragdenstaat.org/blog/2023/08/22/hier-sind-die-gerichtsbeschlusse-zur-letzten-generation/\ [5] https://letztegeneration.org/\ [6] https://fragdenstaat.de/artikel/klagen/2024/10/fragdenstaat-chefredakteur-steht-am-16-oktober-vor-gericht/\ [7] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__353d.html\ [8] https://www.coe.int/en/web/conventions/full-list?module=treaty-detail&treatynum=005\ [9] https://www.juristenverein-luzern.ch/images/pdf/EGMRJustiz_Medien_2011-2103.pdf\ [10] https://fragdenstaat.de/artikel/klagen/2024/10/arne-semsrott-urteil-353d/\ [11] https://akm-berlin.de/RA-Theune.php\ [12] https://freiheitsrechte.org/themen/demokratie/strafnorm_353d_pressefreiheit\ [13] https://freiheitsrechte.org/ueber-die-gff/werwirsind